
St. Urban, Ottmarsbocholt
Geschichte und Kirche in Ottmarsbocholt

Die Kirche ist in den Jahren 1887-88 nach Plänen des Münsteraner Architekten Augustin Hanemann erbaut und ersetzt den spätgotischen Vorgängerbau, der etwa nur ein Viertel des heutigen Gebäudes umfasste und von dem der Turm erhalten ist.
Hanemann gehört zu den Architekten der westfälischen Neugotik. Die Kirche ist eine für das Münsterland eher typische neugotische Hallenkirche mit drei Schiffen zu vier Jochen, Chorjoch und einer 5/8-Chorschluß. Die auffallend schlanken kantonierten Pfeiler des Langhauses im Zusammenspiel mit der sehr hohen auf eichenhölzernen Ständern ruhenden neugotischen Orgelbühne geben dem Raum eine tranzendierende Atmosphäre.
Neben Orgel (1888/1764) und Orgelbühne haben sich u.a. das Gestühl, die Beichtstühle, der Kreuzweg und vier lebensgroße Sandsteinfiguren erhalten. Die neugotischen Sandsteinaltäre und die Kommunionbank sind in den 1960er Jahren zerschlagen und zum Teil als Baumaterial (Wegschotter) „wiederverwendet” worden – also unwiederbringlich verloren. Allein die Kreuzigungsgruppe vom alten Hochaltar ist erhalten und befindet sich heute über der Sakristeitür. Berühmt ist das Kruzifix aus den 1280er Jahren, das Werk eines unbekannten Münsteraner Künstlers, den die Fachwelt nach diesem Werk den „Meister des Ottmarsbocholter Kruzifixus” nennt. Christus blickt vom Kreuz her seine Gläubigen zugleich liebe- und kummervoll an. Der Korpus ist von bemerkenswerter Ausdruckskraft und Schönheit.
Die Ursprünge von Ottmarsbocholt und seiner Pfarrei St. Urban liegen im Dunkeln. Als der fränkische Kaiser Karl der Große um 800 das Sachsenland (und damit Westfalen) eroberte und der friesischstämmige Missionar Ludgerus auf Wunsch des Kaisers die christliche Mission bzw. kirchliche Strukturierung der eroberten Gebiete übernahm, war die Davert, eine damals unzugängliche Wald-Moor-Gegend, so gut wie unbesiedelt.
Im Hochmittelalter gelang es, einen neuen Lebensstandard auf vielen Gebieten zu erreichen: Man rodete Wälder und legte Moore trocken; man konnte mehr Menschen von einer Fläche ernähren als früher; durch den Bevölkerungszuwachs wuchsen die Städte, gediehen Geisteswissenschaften (Universitäten, Scholastik), Rechtswesen (Inquisition), Kunst (Gotik) und Kultur („Höflichkeit”, Kult der Dame, Minnesang) In dieser Zeit wurde die Davert urbar gemacht, verstärkt besiedelt und bekam auch eine kirchliche Struktur.


Im Heberegister der Abtei Werden (um 950) wird Ottmarsbocholt („Atamaresbokholte”) zum ersten Mal urkundlich erwähnt. 1188 erscheint der Name dann im Güterverzeichnis der Grafen von Dale (das heutige Dahl bei Bork an der Lippe) als „curia Oetemarsesbucholte”. Es handelte sich also um einen Haupt- oder Fronhof mit abhängigen Höfen.
Die curia Ottmarsbocholt ging vielleicht ursprünglich zu Lehen der Abtei St. Autamar (St. Omer) in Nordfrankreich. Diese Verbindung könnte den für die Gegend ungewöhlichen Ortsnamen Autamarsbockholte/Ottmarsbocholt erklären. Er bedeutet “Ottmars Buchenwald”. Der Name kann sich aber auch schlicht auf einen Ottmar beziehen, dem der Buchenwald gehörte, in oder an dem der Ort gelegen hat.
1188 besitzt der Ort also bereits Pfarrechte. Der Pfarrpatron ist der heilige Papst Urbanus I., der im 3. Jahrhundert die Kirche leitete und als Martyrer starb. Man nimmt an, dass die Pfarrei unter dem Pontifikat Papst Urbans II. errichtet wurde, den der Ruf der christlichen Bevölkerung des heiligen Landes nach Hilfe gegen die mohammedanischen Eroberer ereilte und der daraufhin zum Kreuzzug aufrief. Die Begeisterung, die damals auch das Münsterland ergriff, führte vermutlich dazu, dass man den Namenspatron des Papstes zum Pfarrpatron wählte.
Über das erste Kirchengebäude ist ebensowenig bekannt, wie über eventuelle weitere Vorgängerbauten zur gotischen Kirche, die zugunsten der heutigen abgerissen wurde. Jedenfalls errichtete man sie am höchsten Punkt der Umgebung. Die erste oder eine spätere Kirche wurden auf ein Fundament aus Findlingen gegründet, die sich großenteils noch heute dort befinden.
1481 wurde eine einschiffige gotische Kirche aus Baumberger Sandstein erbaut, deren Turm bis heute besteht. Im dreißigjährigen Krieg wurde Ottmarsbocholt verheert und geplündert. Dem Pfarrer habe es, so berichtet der Chronist, sowohl an liturgischem Gerät als auch an Gewändern gefehlt, so dass er nicht imstande war, „die divina zu respiciren“. Infolge der Plünderungen kaufte man im zunächst lutherisch, dann reformiert gewordenen Lünen die nun dort nicht mehr gebrauchten Geräte und Gewänder (ein enormer finanzieller Kraftakt in schwerer Zeit!). Hiervon ist bis auf den heutigen Tag (wahrscheinlich) die Lünener Monstranz erhalten und in regelmäßigem Gebrauch.
Die spätmittelalterliche Kirche wurde durch den Bevölkerungszuwachs im 19. Jahrhundert viel zu klein. Man baute Emporen ein, deren Treppen man nach außen verlegte, um Platz zu sparen. Überlegungen, die alte Kirche zu erweitern, führten zu keinem befriedigenden Ergebnis. Es musste neu gebaut werden, und so entstand die 1887 begonnene und 1891 geweihte heutige Hallenkirche, deren Säulen auf den Fundamenten der Außenmauern der alten Kirche stehen (der Altar der alten Kirche stand etwa dort, wo jetzt in der Kirchenmitte der Kronleuchter hängt). Der Münsteraner Architekt August Hanemann hat einen eleganten, lichtdurchfluteten Sakralraum geschaffen.


Noch aus der alten Kirche stammt das barocke Taufbecken. Sein Deckel wird von der Schlange aus dem Paradies verziert, die eine Frucht im Maul hat. Das ist eine Anspielung auf die biblische Urerzählung des Paradieses, aus dem die Menschen vertrieben wurden, weil sie sich von der Schlange hatten verführen lassen. Das Urteil Gottes über die Schlange gilt als das Proto- (= Vor-) Evangelium, da hier schon verheißen ist, dass der Schlange (dem Bösen) durch den Nachwuchs der Frau (Christus, dem Menschensohn) unter Einsatz seines Lebens die Macht gebrochen wird: „Feindschaft setze ich zwischen dich und die Frau, zwischen deinen Nachwuchs und ihren Nachwuchs. Er trifft dich am Kopf und du triffst ihn an der Ferse.” (Gen 3,15) Dem Taufbecken fehlt zwischen Fuß und Schale der Schaft, der durch ein hölzernes Provisorium ersetzt ist.
Erhalten ist ebenso aus der alten Kirche das barocke Hochaltarretabel, auf dem das Pfingstereignis dargestellt ist: Maria in der Mitte, flankiert von den Aposteln, die im „Spalier” links und rechts vor der Gottesmutter stehen, so dass sich durch die Perspektive unten im Bild ein freies Dreieck ergibt, vor dem als Altarkreuz Platz fand. Bemerkenswert ist, dass sich hinter dem Abendmahlssaal, in dem der Heilige Geist auf Maria und die Apostel herabkommt, ein zweiter Raum befindet, in dem eine grüne Liege unter einem Fenster steht: Anspielung auf den Sterbeort der Gottesmutter, die heutige Abtei Dormitio unmittelbar neben dem Abendmahlssaal in Jerusalem?
Sehenswert ist der neugotische Kreuzweg, der qualitätvoll als Sandsteinrelief gearbeitet ist. Bemerkenswert ist die elfte Station: Jesus wird, auf einem Hocker stehend, ans Kreuz genagelt; im Hintergrund haben sich die Künstler in zeitgenössischer Kleidung verewigt: Sie mischen die Galle und reichen das Werkzeug.


Das Ottmarsbocholter Labyrinth ist eine im Jahr 2008 angefertigte Kopie desjenigen in der ehemaligen Abtei St. Bertin in der nordfranzösischen Stadt St. Omer. Die Abtei wurde im 7. Jahrhundert vom Bischof von Théouranne, dem heiligen Authamar (= Ottmar/Omer, 600-670) gegründet. Die heute zerstörte Abtei ist die Keimzelle der Stadt St. Omer. Die Reliquien des Heiligen und eine Kopie des Labyrinthes befinden sich in der dem heiligen Ottmar geweihten Kathedrale der Stadt.
In vielen gotischen Kathedralen wurden Labyrinthe verlegt. Sie symbolisieren den Weg zur Gottesstadt Jerusalem und dienten den Pilgern dazu, mit ihrem Gang zur Kathedrale geistlich an den Ort des Erdenlebens, Erlöserleidens und des Sieges unseres Herrn zu gehen.
Ein Labyrinth ist kein Irrgarten. Man muss den Weg des Labyrinthes lediglich in Geduld bis zur Mitte gehen. Der 125 m lange Weg durch viele Wendungen führt den Menschen immer wieder nahe an die Mitte heran und dann wieder an den Rand, so wie er sich auch im Leben mal nahe bei Gott und sich selbst, dann wieder sich selbst fremd und fern von Gott erfährt. Diese seine Lebensgeschichte mit seinen Höhen und Tiefen soll der Mensch mitbringen zur Gottesbegegnung. Die Mitte symbolisiert das eigene Selbst, das himmlische Jerusalem, ja Christus.
Im Labyrinth sind die Wege (Ziegelstreifen) so breit wie deren Begrenzungen (Blaubasaltwürfel). Die Grundeinheit ist ein Quadrat von etwa 10×10 Zentimetern. Das Labyrinth besteht aus 49×49=7×7×7×7 Grundeinheiten. Sieben ist die Symbolzahl der von Gott gestifteten irdischen Ordnung (vgl. Wochentage, Tonleiter, Sakramente, Gaben des Hl. Geistes), das Quadrat, die Vier steht für die Welt, in der wir leben (Himmelsrichtungen, Dimensionen).
Von den Rändern bis zur Mitte sind es jeweils 12 Wegbreiten, die Zahl der Stämme Israels und der Apostel Christi. Die Mitte ist dreimal so breit, wie der Weg, neunmal so groß wie das Grundquadrat – Zeichen für die göttliche Dreifaltigkeit. Die Mittelplatte steht für das himmlische Jerusalem mit seinen zwölf Toren, wie es im 21. Kapitel der Offenbarung des Johannes beschrieben wird. In seiner Mitte steht Christus, der Alpha und Omega, Anfang und Ende ist (vgl. Offb 1,6; 21,6; 22,13).
Das Labyrinth weist 245 Geraden auf. Hinter dieser Zahl verbirgt sich zweierlei:
– 2×4×5=40: 40 Jahre lang zog das Volk Israel aus der Sklaverei Ägyptens durch die Wüste ins gelobte Land. 40 Tage wanderte Elija zum Gottesberg Horeb, 40 Tage fastete Jesus in der Wüste: 40 ist die Symbolzahl des Weges, der Vorbereitung und des Bei-Gott-Seins.
– 245=7×7×5: 7 ist die Zahl der Vollkommenheit des Universums. 7×7 steht für die „Fülle der Vollkommenheit“ und nimmt darüber hinaus Bezug auf die Größe des Labyrinthes (s.o.). Die 5 steht für die Wunden Christi und die menschlichen Sinne.
Der Weg im oberen Teil verläuft um ein Kreuz herum. Das will sagen, daß das Leid in unserem Leben gegenwärtig ist. Unser Leben kann ein Kreuzweg werden, der aber durch Christus zum Heilsweg geworden ist.
Am Ende des Weges steht er in der Mitte mit dem Blick auf das Kirchenportal, bereit zum Heil: zur Gottesbegegnung, die sich in der Kirche am Altar ereignet.


Die vollmechanische Orgel mit neugotischem Gehäuse ist 1888 von Friedr. Fleiter (Münster) unter Verwendung des Pfeifenmaterials der Vorgängerorgel von Bernhard Heilmann (Herbern/Ahlen) v. 1764 erbaut.
Sie ist durch das barocke Pfeifenmaterial – bemerkenswert für diese Zeit – zur Interpretation sowohl barocker und älterer Musik als auch romantischer und moderner Werke geeignet.
I. Manual (Positiv) | II. Manual (Hauptwerk) | Pedal | |||
Geigenprincipal | 8′ | Principal | 8` | Subbass | 16` |
Liebl. Gedackt (*?) | 8’ | Bordun | 16’ | Principal | 8’ |
Salicional | 8’ | Hohlflöte * | 8’ | Oktave | 4’ |
Flauto dolce | 4’ | Gambe | 8’ | Posaune | 16’ |
Violino (*?) | 4’ | Oktave * | 4’ | Clairon | 4’ |
Waldflöte | 2’ | Quinte * | 2 2/3’ | Trompete | 8’ |
Rohrflöte | 4’ | ||||
Oktave * | 2’ | ||||
Mixtur * | 3fach | ||||
Trompete * | 8’ |